Pilzmythen
Wußten Sie es?
Das größte Lebewesen auf unserem Planeten ist nicht ein Elefant oder Blauwal, sondern ein Pilz.
In den USA, im Bundesstaat Oregon lebt ein Pilz, dessen Pilzgeflecht, das Myzel, über eine Fläche von neun Quadratkilometern gewachsen ist. Das ist größer als die Fläche von Köln-Mülheim mit seinen 7 Quadratkilometern.
Die lebende Masse wiegt grob geschätzt 600 Tonnen, das entspricht dem Gewicht von 4 Blauwalen.
Der Riesen-Pilz ist gleichzeitig auch das älteste Lebewesen des Planeten.
Der Hallimasch wächst seit etwa 2400 Jahren indem er sich von Baumwurzel zu Baumwurzel ausdehnt.
Erst im Jahr 2000 entdeckten amerikanische Forscher um die Forstwissenschaftlerin Catherine Parks mit Hilfe von Luftaufnahmen den Hallimasch. In Gebieten, in denen der Wald krank war, sammelten sie Proben pilzbefallener Wurzeln. Die überraschende Erkenntnis bei der Genanalyse: 61 der Proben stammten von demselben Hallimasch. Als sie ihre Werte auf eine Landkarte übertrugen, dämmerte den Forschern, welch einem Riesen sie da auf die Spur gekommen waren.
Der Hallimasch befällt aber nicht nur gesunde Pflanzen, sondern verspeist auch totes Holz – und recycelt so das organische Material, arbeitet also zusammen mit Bakterien als Sperrmüll-Abfuhr des Waldes.
Pilze sind eh sehr interessante Lebewesen.
Bisher sind nur 100.000 von den vermuteten 1,5 Millionen Arten weltweit bekannt und erforscht.
Sie sind weder Pflanzen, noch Tiere. Nicht Flora, nicht Fauna sonder „Funga“.
Ähnlich den Insekten sind ihre Zellen teilweise aus Chitin aufgebaut. Statt Blattgrün, mit dem sie Sonnenlicht in Energie umwandeln könnten, ernähren sie sich von organischen Stoffen, die sie zersetzen oder beziehen die Nahrung direkt aus Pflanzen oder Bäumen. So wie Schimmelpilze organisches Material zersetzen und umwandeln oder wie Baumpilze, die auf Bäumen wachsen und sich die Fertignahrung aus den lebenden Bäumen holen.
Der japanische Shiitake etwa wird auch in Europa gezüchtet. Er kann auf Buche, Eiche, Kastanie, Ahorn oder Walnuss angebaut werden. (Interessantes Detail am Rande: der Shiitake-Pilz schmeckt nicht süß, salzig, bitter oder sauer – er schmeckt „umami“. Diese 5. Geschmacksrichtung wurde erst jüngst von der Wissenschaft anerkannt. Es gibt auf der menschlichen Zunge eigene Zellen zur Wahrnehmung von „umami“.)
Für mich hatten Pilze schon als Kind eine geheimnisvolle, mystische Qualität.
In einem belgischen Comic von Will Vandersteen („Suske en Wiske“) hatte ich mit etwa 9 Jahren eine Geschichte gelesen, in der es um einen „Hexenring“ ging.
Ein kreisrunder Ring, auf dessen Außenrand die Pilze wuchsen. Die Mitte leer. Im magischen Glauben nahm man an, diese Spuren hätten etwas mit Hexen und Elfen zu tun. Man glaubte, dass die Pilze in dem seltsamen Kreis die Spuren eines nächtlichen Tanzes beim Hexensabbat waren. Oder dass der Ring den Platz zeige, wo der Blitz in die Erde gefahren sei. Dabei habe er elektrische Energien entwickelt, die sich sternförmig ausbreiteten.
Oder er würde von Schlangen erzeugt, die im Kreis schlängelten oder von Hexen, die grasende Pferde bestiegen und mit ihnen immerzu im Kreis herum ritten.
Wissenschaftlich betrachtet ist es so, dass das Pilzmyzel sich an einem unterirdischen Wirt, zum Beispiel einer verrottenden Baumwurzel entwickelt, kreisrund weiter wächst und wenn die Fruchtkörper (das was landläufig „Pilz“ genannt wird) an einem feuchten Herbsttag aus dem Boden sprießen, bleibt ein von Jahr zu Jahr größer werdender, von Pilzen umringter, Tanzplatz über.
Später als Jugendlicher, interessierten mich Pilzgeschichten, wie die vom Fliegenpilz, dessen berauschende Wirkung seit Urzeiten Gegenstand von Mythen ist. Der nordische Gott Wotan soll in seiner Wut Fliegenpilze sprießen gelassen haben wo er die Erde berührte. Germanische Krieger berauschten sich mit Fliegenpilzen, um furchtlos und mit berserker-hafter Wut in den Kampf zu ziehen. Besonders interessant fand ich als 15-jähriger Pubertierender bezeichnenderweise, dass in Sibirien der Urin von Fliegenpilz-Berauschten getrunken und damit der Pilz-Wirkstoff recycelt wurde, da er nicht komplett im Körper abgebaut wird. In Finnland soll man den Urin von Rentieren getrunken haben, die man vorher mit Fliegenpilzen gefüttert hatte. Sehr seltsame Stories…
Fliegenpilze sind übrigens normalerweise nicht gefährlich. In Teilen Japans gehört er als leckere Spezialität auf den Speiseplan. Und auch in Deutschland wurde er am Anfang des 20. Jahrhunderts noch gegessen, verschwand aber wegen der unsicheren Wirkung von den Sammel-empfehlungen. Die letale (tödliche) Dosis liegt für einen erwachsenen Menschen bei mehr als 10 Pilzen – anders der Knollenblätterpilz: hier reicht ein halber Pilz für die letzte Reise.
Eine andere Sorte Pilz, die hierzulande auf vielen feuchten Wiesen wächst lernte ich mit gut 20 Jahren während meines Zivildienstes im gut bewaldeten Weserbergland kennen: den kleinen „Spitzkegeligen Kahlkopf“, der den psychoaktiven Wirkstoff Psilocybin enthält.
Aber auch das gängigste Rauschmittel unserer heutigen Gesellschaft, der Alkohol, wird erst durch einen Pilz möglich: der Hefepilz wandelt Traubensaft oder gemälzten Gerstensud in Alkohol um.
Am ungefährlichsten ist es wohl, die Früchte der Pilze zu einem guten Essen zu geniessen.
Gezüchtete Champignons mit Zwiebeln in Rahmsoße, heilende Shiitake-Pilze zu einer makrobiotischen Mahlzeit oder ein Hauch Trüffel auf einem Nudelgericht.
Doch Vorsicht bei Pfifferlingen! Diese dürfen per Gesetz in Deutschland zwar zum eigenen Gebrauch gesammelt, aber nicht verkauft werden. Alle hier gehandelten Pfifferlinge stammen aus dem Ausland und oft aus Russland oder osteuropäischen Ländern in denen die Strahlenbelastung nach Tschernobyl immer noch sehr hoch ist.
Die Pfifferlinge sammeln die damals auf den Waldboden herabgeregneten radioaktiven Isotope, und sollten deshalb gemieden werden.